Pommfritz aus der Hölle von Lioba Happel (2021), ein Beitrag im Rahmen des Schweizer Buchpreis
Denke ich an Pommes frites, dann denke ich an fettige gelbe Stäbchen, die es an heissen Sommertagen in der Badi gab. Ich denke an Kindergeburtstage in McDonalds Restaurants, an salzige Finger, die ich zwischendurch immer wieder abschleckte. Ich denke an Abende an denen meine Mutter nicht zu Hause war, um zu kochen. Ich denke an meine Kindheit, an leichte, lustige und frohe Momente.
In Lioba Happels Buch «Pommfritz aus der Hölle» geht es ebenfalls um Kindheit und auch die gelben, fettigen Stäbchen haben ihren Platz in der Geschichte. Für den Ich-Erzähler Pommfritz ist Fastfood jedoch nichts Leichtes oder Lustiges, ihn erinnern sie viel mehr an seine immerzu fressende, Pommes und Hühnchen verschlingende Mutter.
Pommfritz, der aus dem Gefängnis Briefe an seinen «Vatter in den Emmentälern» schreibt, lässt ihn und uns an seinem Aufwachsen teilhaben. Nach und nach erfahren wir mehr darüber, welche Tat ihn hinter Gitter brachte und wie grausam seine Kindheit war.
Schmerz. Schmerz ist das, was ich während der knapp 140 Seiten des Romanes empfand. Schmerz, weil ein Kind von seiner Mutter an ein Tischbein gebunden wurde. Schmerz, weil sich die Schläge der Mutter wie die einzige Art von Zuneigung anfühlten. Schmerz, weil man einem wachen Geist beim Zerbrechen zusehen muss.
Pommfritz leidet und leidet und Lioba Happel, die für ihre schockierenden Texte bekannt ist, schockierte mich auch mit diesem Buch. Immer wieder pausierte ich beim Lesen, um die schwere Kost zu verdauen. Fast schonungslos und dennoch mit lyrisch anmutender Sprache schmeisst der Protagonist seinem Vater, der nie für ihn da war, alles Erlebte ins Gesicht.
Während wir erfahren, wie Pommfritz ins Kinderheim kam, wie er mit Drogen konsumierenden Jugendlichen verkehrte, wie er sich in «Prügellilly» verliebte, die ihn wie schon seine Mutter zuvor verprügelte. Während ihm all diese Grausamkeit widerfährt, erfahren wir auch, wie er sich bildet, wie er liest und sich eine akademisch wirkende Sprache aneignet.
Anstoss zum Lesen gab ihm ein Buch von Arthur Rimbaud, welches er von einer Lehrerin geschenkt bekam und von da an mit sich herumträgt. «Ich ist ein Anderer», diesen Satz Rimbauds nimmt Pommfritz wiederholt auf. Der Wunsch nach der Abspaltung vom eigenen selbst verbindet Rimbaud und den Protagonisten.
Zerfällt ein Mensch, wenn er eine unmenschliche Tat vollbringt? In Happels Roman tut er das. So entfernt sich ein Teil des Pommfritz von ihm und es ist der Fritz der bleibt, der am Ende das Verbrechen ausübt.
Happel erzählt eine Geschichte, von der ich mir vor allem wünsche, dass sie eine erfundene ist. Ist es die Geschichte eines Monsters? Die eines Opfers? Die eines Anti-Helden? Vermutlich ist es die, eines zerbrochenen Menschen. Die Autorin führt uns an den Abgrund der Menschlichkeit heran, an den wir alle hoffentlich nie treten müssen. Sie macht uns damit schmerzhaft bewusst, zu was wir fähig sein können, zu was wir werden, wenn wir auf die schlimmste aller Weisen behandelt werden.
Ob ich das Buch empfehlen würde? Natürlich wünsche ich niemandem Schmerz, weshalb die Antwort wohl Nein sein müsste. Dennoch bringt die Geschichte Gedanken ins Rollen: Steckt in jedem «Bösewicht» letztendlich immer ein Mensch? Welche Verantwortung haben wir als Freunde, Eltern, Mitmenschen, wenn es darum geht, dass niemand ein solches Leben führen sollte?
Es sind Gedanken und Fragen, die uns als Menschheit weiterbringen können. Deshalb empfehle ich das, trotz und vielleicht auch wegen des Schmerzes, das es auslöst.
Tschäse und Bussi
Elena
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