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Xhemile Asani

Erfundene Wahrheiten

«Mr. Goebbels Jazz Band» von Demian Lienhard, ein Beitrag im Rahmen des Schweizer Buchpreis


Oft genügt eine leichte Anpassung der Wortwahl, um eine ganz andere Geschichte zu erzählen. Das wohl bekannteste und alltäglichste Beispiel dafür ist der Unterschied zwischen dem halbvollen und dem halbleeren Glas – Obwohl der gleiche Sachverhalt beschrieben wird, lassen uns diese zwei verschiedenen Ausdrücke die Realität anders wahrnehmen. Mit diesem sprachlichen Effekt wird vor allem in der Politik und in den Medien bewusst gespielt: Die «Flüchtlingswelle» schürt sofort Angst, die «Steuerbelastung» lässt keinen Raum dafür, hinter den Steuern einen positiven Aspekt zu sehen.


Dieses Verhältnis zwischen Sprache und Wahrheit steht im Zentrum des Romans «Mr. Goebbels Jazz Band» von Demian Lienhard. Die Erzählung nimmt uns mit auf eine Reise in eine Ecke des nationalsozialistischen Berlins, die den meisten Lesenden wahrscheinlich noch unbekannt ist: Nämlich ins Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, wo die Big Band «Mr. Goebbels Jazz Band» regelmässig für den Propaganda Radio Sender Germany Calling Jazz spielen musste.



Schwindelerregend türmen sich die Widersprüche im Jahr 1940 in Berlin: Das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda gründet eine Jazz Band, welche die gegen Grossbritannien gerichtete Propaganda des Radiosenders Germany Calling musikalisch untermalen soll. Widersprüchlich ist dies nicht nur, weil Jazz zu dieser Zeit als entartet gilt, sondern auch weil viele der Mitglieder ansonsten vom nationalsozialistischen Regime verfolgt werden würden: Die Band besteht hauptsächlich aus jüdischen, ausländischen und homosexuellen Personen. Der amerikanisch-britisch-irische (Identity-Crisis Alert!) Star-Moderator William Joyce muss dafür einen Schweizer Autor – Fritz Mahler – damit beauftragen, einen Propaganda-Roman zu schreiben. Dieser soll nicht lediglich dokumentieren, was diese Band alles erreicht, sondern auch dazu dienen, die unentbehrliche Bedeutung von Propaganda im Krieg zu vermitteln.


Mit dem Wissen, dass es sich in «Mr. Goebbels Jazz Band» um den zweiten Weltkrieg handelt, trat ich mit falschen Erwartungen an meine Lektüre heran: Ich erwartete die Perspektiven der Bandmitglieder im Mittelpunkt und dachte, ich würde von ihren Identitätskrisen, Ängsten und Schikanen lesen. Noch etwas unfähig, meine Erwartungen loszulassen, war ich dann sogar etwas genervt von dem Schreibstil: Warum dieser Autor so sehr mit seinen Sprachfertigkeiten angeben müsse, indem er so altertümlich schreibt – oder wie Thomas Mann, mit welchem Lienhard mittlerweile wiederholt verglichen worden ist.


Darin lag jedoch der Schlüssel des Ganzen, dass hier nämlich – Achtung Spoiler Alert – nicht lediglich ein Roman vorliegt, sondern einen Roman im Roman, nämlich Fritz Mahlers Manuskript. Damit fühlt man sich gleich doppelt auf eine Zeitreise in die Vergangenheit versetzt, so dass es Spass macht, sich auf diese zeitgenössisch verfasste, aber alt anfühlende Sprache einzulassen.


Lienhard versteht es auch, durch Beschreibungen, die bis ins kleinste Detail gehen, einen visuellen Sog sowie die Illusion einer wahrheitsgetreuen historischen Darstellung zu erzeugen. Mit einer Ironie, die sich durch die ganze Erzählung durchzieht, wird auch diese Tatsache im Buch reflektiert:


«Aber, und jetzt kommt dieses grosse Aber, all diese Details, all diese minutiös recherchierten und vielleicht nicht ganz so minutiös wiedergegebenen Einzelheiten würden, denkt es in Mahler weiter, die Illusion des Wahren erwecken, einen Echtheitsanspruch zementieren, der eben nicht gleicher Art gegeben wäre, wenn statt von neun bis zwölf Uhr einfach vom Morgen die Rede wäre oder statt von sechzehn Reichsmark bloss von viel Geld


Die Metaebene dieses Romans verschiebt den Fokus vom Historischen auf das Poetologische – Dadurch, dass die Figuren im Text über den Text, den man gerade am Lesen ist, nachdenken und über diesen sprechen, beginnt man sich auch als Leserin vor allem zu fragen, was es bedeutet, zu erzählen. Und was es bedeutet, wie erzählt wird. Gerade in Bezug auf die Tatsache, dass auch Geschichte geschrieben wird, rückt der Anspruch ins Zentrum, genau hinzusehen, welche Narrative und Wörter dabei gewählt werden.


Besonders spannend ist auch, dass die Beziehung zwischen Politik und Kunst im Zentrum steht: Jazz wird appropriiert, um Nationalsozialismus zu propagieren. Literatur wird genutzt, um die Widersprüche einer faschistischen Politik schlüssig aussehen zu lassen. So kann man sich auch heute fragen, was auf welche Weise durch Kultur und Kunst an die Gesellschaft vermittelt wird, wer davon auf opportunistische Weise profitiert und wie wir diese Verhältnisse transparenter machen.


Lienhard hat mit «Mr. Goebbels Jazz Band» einen historischen Roman geschrieben, der gleichzeitig von seinen detailgetreuen, historischen Angaben und fiktiven Elementen lebt - Und lässt damit die Grenzen zwischen Wahrheit und Erfindung verschwimmen.


Tschäse und Bussi,

Xhemile


 


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