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Eselsohren

Auf wilden Wegen

«Unwegsam - Über die Chancen einer wilden Schweiz» (2022) von Linda Surber (Rezensionsexemplar)


Schweizer lieben die Berge - spätestens seit Heidi ist das ein allgemein anerkannter Fakt. Umso erstaunlicher ist es, wie unsere Bevölkerung eben jene Berge und die Natur Jahr um Jahr mehr zerstört, vor allem durch die Volkskrankheit “Skifahren”. Wir haben unser Land gezähmt, ein Korsett aus Feldern, Dörfern und Städten angelegt, festgezurrt mit Strassen, Schienen und Gondelbahnen. Hat die Schweiz noch Platz und Kraft, um wild zu sein? Sich zu entwickeln, abseits von unserer Kontrolle?


Genau dieser Frage geht Linda Surber in ihrem Buch «Unwegsam - Über die Chancen einer wilden Schweiz» nach. Nicht alleine - sie befragt Geograf*innen, Geolog*innen, Landwirt*innen, Jäger*innen verschiedensten Alters und aus unterschiedlichen Altersklassen, wo man Wildnis in der Schweiz noch erleben kann und was Wildnis überhaupt bedeutet. Linda Surber lässt auch ihre eigenen Erlebnisse in der Schweizer Bildnis in Form von Fotos einfliessen.



Aus den Interviews lässt sich auch immer wieder die Liebe zu den Bergen herauslesen, sowie auch die Sorge um unsere Natur. Es stellen sich auch nicht wenige Dilemmata: Wie können wir die Anzahl Stauseen in der Schweiz gering halten aber gleichzeitig aus der nuklearen Energie aussteigen und genügend Strom produzieren? Wie kann man Wildnis erleben und sie dennoch unberührt halten? Man muss Natur, zumindest ein Stück weit, auch der Bevölkerung zugänglich machen - darin sind sich die Interviewpartner*innen in «Unwegsam - Über die Chancen einer wilden Schweiz» einig. Nur wer Natur erleben kann, wird auch verstehen, warum man sie schützen muss.


Viel Spannendes lässt sich aus diesem wunderschön gestalteten Buch herauslesen - nur leider sind die Interviews teilweise etwas gar lang und die Aussagen der Interviewpartner*innen wiederholen sich häufig. So sind sich beispielsweise beinahe alle einig, dass sie die Wildnis als schön empfinden. Auch hätten ein paar verbindende Elemente und Hintergrundinformationen über die Natur der Schweiz nebst den Interviews nicht geschadet.


Liest man die Texte aufmerksam durch, findet man aber sehr viel Information, die uns auch nur wenig bekannt war. Beispielsweise, dass 17% der Flächen in der Schweiz eine hohe Wildnisqualität aufweisen, also dass dort die Natur, dem Menschen gleichgültig gegenüber, ihren Lauf nimmt. Oder auch, dass scheinbar wilde Flächen auch ganz unwild sein können - wie zum Beispiel die Landschaft Schottlands, die früher sehr viel stärker bewaldet war - wie Jan Gürke von Pro Natura erzählt. Zur Sprache kommt ebenfalls, was uns die Natur alles geben kann, was für ein Kraftort sie für manche ist. Für die Zürcher Bergsteigerin und Autorin Jeannine Zubler ist die Natur ein Ort für Ausgeglichenheit und Zufriedenheit, etwas dass ihr die Stadt weniger gebe. Forstingenieur und ehemaliger Experte des Europarates für Naturschutz Mario Broggi aus Vaduz wird sich in der Natur seiner Endlichkeit bewusst.


Ob nur zwischen den Zeilen oder explizit, die Hauptaussagen des Buches scheinen folgende zu sein: Wir müssen unsere Natur, die Wildnis pflegen, ihr Sorge tragen. Und wir, als Menschen, sollten uns bewusst sein, dass die Welt nicht uns alleine gehört. Heftige Gesellschafts- oder gar Menschheitskritik, die uns aber nicht unbekannt ist. Was Hoffnung gibt, sind die Aussagen, die bekräftigen, dass sich die Natur mit ihrer gewaltigen Kraft auch von Katastrophen wieder erholen kann. Der Mensch muss dies aber zulassen können - sich zurückziehen, die Kontrolle abgeben, nichts tun.


Das Buch mit seinem schlichten, ästhetischen Einband würde sich sicherlich gut auf so manchem Sofatischchen machen. So kann man immer wieder ein Interview lesen und sich Stück für Stück durch das Dickicht der unterschiedlichen Stimmen schlagen. Vielleicht will man dann das Buch wieder eine Weile hinlegen, nach draussen gehen und einen Waldspaziergang machen? Glücklicherweise ist die Natur in der Schweiz oft so nahe - auch wenn nicht wild genug.




Linda Surber hat ihr Buch selbstständig veröffentlicht, ohne Verlag. Wir wollten noch mehr zum Prozess hinter ihrem Buch wissen und haben sie ein paar Dinge gefragt.


Was wolltest/willst du mit deinem Buch bei den Leser*innen bewirken?

Mein Ziel ist es, den Lesenden durch das Aufzeigen der ästhetischen Einzigartigkeit der Wildnis, die ökologische und gesellschaftliche Wichtigkeit dieser Gebiete näher zu bringen. Ich wollte einen Zugang schaffen, zu einem Thema, das sich bisher sehr naturwissenschaftlich präsentierte. Die Wildnis ist für uns alle wichtig, leider jedoch in der breiten Bevölkerung eher negativ konnotiert. Das Buch soll dazu beitragen, den Wert und die Chancen der Wildnis zu erkennen und zu verstehen.


Wie hast du deine Interviewpartner*innen ausgewählt?

Als ich mich in das Thema Wildnis eingelesen habe, stiess ich ziemlich schnell auf eine Studie von Mountain Wilderness und der WSL (eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft), bei der unter anderem Sebastian Moos und Nicole Bauer beteiligt waren. Auf Peter Lüthi bin ich wegen seines Einsatzes für das Val Curciusa gestossen, und auf Jan Gürke dank der laufenden Wildniskampagne von Pro Natura. Mir sind auch Personen empfohlen worden, so zum Beispiel Mario F. Broggi, der die Wildnis und die Mechanismen im Naturschutz und in der Politik bestens kennt. Ich wollte eine gewisse Diversität innerhalb des Buches erreichen, wollte etwas über den Nationalpark, den Sihlwald und die Naturschutzgebiete erfahren und auch die verschiedenen Anspruchsgruppen zu Wort kommen lassen.


War es von Anfang an dein Plan, das Buch ohne Verlag zu veröffentlichen?

Jein. Anfangs war ich offen für beide Arten der Veröffentlichung. Je deutlicher sich das Projekt herauskristallisiert hat und je mehr ich über die Mechanismen der Buchbranche gelernt habe, desto klarer wurde es für mich, dass ich im Eigenverlag veröffentlichen würde. Mir war es wichtig, die inhaltliche und vor allem die gestalterische und konzeptionelle Freiheit zu haben und ich wusste, dass ich einen grossen Teil der Arbeit eines Verlages selbst machen kann und will.



Tschäse & Bussi

Elena und Sasha






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